Freitag, 10. November 2017

Fachbericht: Homöopathie bei Geflügel

Einführung und Erfahrungen aus der Praxis
Stefan Wesselmann, praktischer Tierarzt, Wallhausen
2. Vorsitzender der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin (GGTM)
National Representant of the International Association for Veterinary Homeopathy (IAVH)



Die Lehre und die Anwendung der Homöopathie in der Nutztierhaltung wurde lange Zeit als eine Therapieform angesehen, die sich hauptsächlich auf Einzeltiere beschränkte. Überwiegend waren dies ökologisch wirtschaftende Betriebe, die aufgrund Ihrer Überzeugung und Ideologie die herkömmliche Schulmedizin nicht mehr als ihre Haupttherapieform ansahen, sondern in der Homöopathie eine willkommene Möglichkeit fanden, ihre Tiere im Krankheitsfall schonend und verbraucherfreundlich zu behandeln, zumal die EU-Ökoverordnung die Homöopathie und die Phytotherapie als bevorzugte Therapieformen vorschreiben.

Mittlerweile zeigen auch konventionell wirtschaftende Betriebsleiter aus verschiedenen Gründen (Resistenzentwicklung, Arzneimittelrückstände, erfolglos therapierte Tiere, zu hoher Arzneimitteleinsatz, etc.) ein zunehmendes Interesse an ganzheitlichen Heilmethoden. Besonders die zunehmende Verunsicherung der Verbraucher, die aufgrund der verschiedenen Skandale (Arzneimittelskandal, Hormonskandal, Nitrofenskandal, etc.) immer mehr zunimmt, zwingt die Geflügelhalter, sowie die betreuenden Tierärzte zum Umdenken.

Während die Homöopathie in der Einzeltierbehandlung inzwischen in vielen Tierarztpraxen etabliert ist , wird die Homöopathie in der Bestandsmedizin noch relativ selten eingesetzt.

Die Bestandshomöopathie hält sich streng an die Lehre Samuel Hahnemanns, dem Begründer der Homöopathie. Hahnemann feierte seine größten und spektakulärsten Erfolge in der Therapie und Prophylaxe von epidemischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Pest, Cholera, Scharlach, Diphterie etc.. Hahnemann behandelte also schon vor über zweihundert Jahren nicht nur Einzelpersonen sondern auch erfolgreich große Menschengruppen, indem er sich dem Prinzip der Individualisierung bediente und anschließend eine klassische, homöopathische Anamnese (Fallaufnahme) erhob. Diese Individualisierung wird auch in der Bestandshomöopathie vorgenommen, und bedeutet, dass bei mehreren Einzeltieren homöopathische Anamnesen durchgeführt werden, die wiederum ein repräsentatives Bild der ganzen Herde ergeben. Anhand dieser Ergebnisse wird anschließend  das entsprechende Arzneimittel ausgewählt und verabreicht. Da in der Bestandshomöopathie nach den Prinzipien der klassischen Homöopathie  gearbeitet wird, kommen häufig verschiedene Arzneimittel bei den gleichen Erkrankungen zum Einsatz. Die homöopathische Therapie ist also nicht standardisierbar, weshalb der Erfolg besonders von der Erfahrung des Tierarztes und der Beobachtungsgabe des Landwirtes abhängig ist, denn auch scheinbar unbedeutende Anzeichen einer Krankheit können unter Umständen für die Arzneimittelauswahl  ausschlaggebend sein. Der Einsatz von Arzneimitteln, die nur aufgrund klinischer Symptome gegeben werden (Beispiel: Pulsatilla, die Küchenschelle, bei Husten mit Nasenausfluß) bleibt daher aus den oben erwähnten Gründen auf ein gewisses Maß beschränkt. Besonders wichtig für den Erfolg ist der rechtzeitige Therapiebeginn, wobei auch, bereits mehrere Wochen erfolglos, schulmedizinisch therapierte Tiere erfolgreich behandelt wurden .Schon bei den ersten Anzeichen, die darauf hinweisen, dass sich eine Erkrankung im Bestand etablieren könnte, sollte mit der homöopathischen Behandlung begonnen werden.

Einer der größten Vorteile der Homöopathie ist die Möglichkeit  der Prophylaxe von Erkrankungen. Häufig laufen die Krankheitseinbrüche in den Mastbetrieben immer wieder nach ganz bestimmten Schemata ab, so dass das Auftreten einiger Erkrankungen relativ genau vorhergesagt werden kann. In diesen Fällen hat sich die Prophylaxe besonders bewährt, da die entsprechenden homöopathischen Arzneimittel schon vorher gegeben werden können und sie somit den Ausbruch der Erkrankung verhindern oder aber auch nur die Schwere der Erkrankung vermindern. Da immer wieder verschiedene Arzneimittel zum Einsatz kommen und es sich bei der Homöopathie um eine Form der Selbstregulationstherapie handelt, kann es auch keine homöopathischen Arzneimittel „gegen“ Clostridien, Kokkzidien, etc. geben, wie es immer wieder von homöopathischen Laien behauptet wird. Die Homöopathie ist also keine gegen den „Erreger“ gerichtete Medizin, sondern sie gehört, wie schon erwähnt, in die Gruppe der sogenannten Regulationsmedizin, die darauf abgestimmt ist, dass das Individuum aus eigener Kraft die Erkrankung meistert oder auch gar nicht erst zulässt.

Ein besonderer Vorteil der Homöopathie ist, dass auch Erkrankungen therapiert werden können, die schulmedizinisch nur schwer oder gar nicht in den Griff zu bekommen sind (Verhaltensstörungen, virale Infektionen, immunsuppressive Erkrankungen, etc.).

Im Gegensatz zur Schulmedizin kommt es während der homöopathischen Therapie nicht zur Resistenzbildung, ein Problem in der Tierhaltung, welches immer schwieriger zu lösen ist, denn die Entwicklung eines gänzlich neuen Antibiotikums dauert um ein Vielfaches länger, als die Bildung erster Resistenzen. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass in Betrieben in denen intensiv homöopathisch gearbeitet wird die Resistenzsituation langsam verändert, denn jeder Antibiotikaeinsatz, der (mit Hilfe homöopathischer Arzneien) verhindert werden konnte, kann auch dazu beitragen, dass sich in den darauffolgenden Durchgängen die Resistenzlage wieder verbessert. Dies ist auch der Grund, warum häufig die Erfolge der Homöopathie erst nach einigen Mastdurchgängen sichtbar werden. Somit kann die homöopathische Therapie auch als eine Prophylaxe für die zukünftigen Mastperioden betrachtet werden. Allerdings erschwert diese Tatsache auch die Arbeit mit homöopathischen Arzneimitteln, denn häufig wird die Homöopathie erst dann  zum ersten Mal in Betrieben angewandt, wenn alle schulmedizinischen Therapieversuche unbefriedigend oder erfolglos blieben. In solchen Situationen ist es eben auch für einen homöopathisch arbeitenden Tierarzt schwierig, die Tiere erfolgreich zu behandeln, da die Puten, Hennen oder Broiler bis dahin schon zu sehr geschwächt sind und nicht mehr über die nötige, für die homöopathische Therapie wichtige, sogenannte Lebenskraft verfügen. Es stellt sich also auch mit der Homöopathie nicht immer gleich der erwünschte Erfolg ein, weshalb den Tierhaltern und den betreuenden Tierärzten ein gewisses Durchhaltevermögen abverlangt wird.

Beim Einsatz homöopathischer Arzneimittel kann die Wartezeit auf Null Tage festgesetzt werden, wenn folgende Regleungen berücksichtigt werden: Aristolochia ( Osterluzeii clematis) und Colchicum (Herbstzeitlose) dürfen in keiner Form und Verdünnung eingesetzt werden, Verdünnungen unterhalb der D6 ( 1 zu 1 Million) nur wenn sie für lebensmittelliefernde Tiere zugelassen sind. Ansonsten dürfen alle homöopathischen Arzneimittel oberhalb der D6 wartezeitfrei eingesetzt werden. Homöopathische Arzneimittel sind apothekenpflichtig und müssen in das Bestandsbuch mit Chargennummer, Arzneimittelabgabe- und Anwendungsbelegnummer (AuA) , Art der Verabreichung etc. eingetragen werden. Das Herstellen und der Verkauf homöopathischer Arzneimittel ist nur in öffentlichen oder tierärztlichen Apotheken erlaubt, allerdings kann die öffentliche Apotheke keinen tierärztlichen Anwendungs- und Abgabebeleg ausstellen, zumal die Abgabe von Arzneimitteln, die für lebensmittelliefernde Tiere bestimmt sind, nur nach vorheriger Bestandsbegutachtung und Untersuchung durch die betreuende Tierarztpraxis zulässig ist.
Die Homöopathie versteht sich als eine ganzheitliche Therapieform, weshalb auch das Umfeld der Tiere berücksichtigt werden muß. Insbesondere die Haltung, Lüftung und Fütterung sind auch für homöopathisch arbeitende Tierärzte von größter Wichtigkeit.

Dr. Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, prägte die folgende Aussage: „ Solange ein rheumakranker Mensch nicht aus dem feuchten und kalten  Keller geholt wird, kann er auch nicht geheilt werden“.

Die Homöopathie ersetzt also keine Mängel im Management, kann aber Erkrankungen, die aus Managementfehlern entstehen, sehr wohl therapieren. Hierzu nur ein Beispiel: Das Heizen der Ställe geschieht sehr oft mittels Gasstrahler, wobei das Gas unmittelbar in der Nähe der oft noch jungen Tiere verbrannt wird. Dadurch wird nicht nur eine große Menge Sauerstoff verbraucht, sondern es entstehen auch verschiedene, toxisch wirkende Schadgase, denen die Tiere schon vom ersten Lebenstag an ausgesetzt sind. Erkrankungen der Jungtiere (um die handelt es sich, bis auf die Elterntiere, ja fast immer) sind daher vorprogrammiert. Diese, durch toxische Gase hervorgerufenen Erkrankungen lassen sich zwar mit homöopathischen Arzneimitteln ( zum Beispiel: Acidum Hydrocyanicum, Nux vomica, Okoubaka u.a.) therapieren, viel besser wäre es aber die Lüftung und Heizung so zu gestalten, dass die Verbrennung außerhalb des Stalles geschieht, und der Stall nur mit Warmluft versorgt wird.

Die Strategie der homöopathischen Therapie berücksichtigt zum Beispiel aber auch den Phasenwechsel in der Fütterung, oder, besonders wichtig, die Vielzahl der Impfungen.

Die Homöopathie wird durchaus auch begleitend zur Schulmedizin eingesetzt oder die Schulmedizin begleitend zur Homöopathie, aber um so länger in einem Betrieb homöopathisch gearbeitet wird, desto mehr wird sich der Einsatz schulmedizinischer Arzneimittel verringern. Dies soll nicht bedeuten, dass gänzlich auf Antibiotika oder Impfungen verzichtet werden kann, denn es wird immer wieder Situationen geben, in denen wir auf wirksame schulmedizinische Arzneien angewiesen sind, das heißt eine Zusammenarbeit zwischen Homöopathie und Schulmedizin wird schon allein aus Gründen der Diagnostik, immer von großer Bedeutung sein

Die Homöopathie beschränkt sich nicht nur auf die Masttiere, sondern auch der Elterntierbereich sollte in die homöopathische Strategie mit einbezogen werden, denn oft werden hier schon die Weichen für eine erfolgreiche Mast gestellt. In einigen Fällen handelt es sich bei den Erkrankungen der Masttiere und der Legehennen um chronische Krankheiten, die durchaus auch, im homöopathischen Verständnis, vererbt werden können und somit schon bei den Elterntieren mit den entsprechenden homöopathischen Arzneimitteln behandelt werden sollten.

Die Behandlung akuter Erkrankungen gestaltet sich dagegen weniger kompliziert und der Behandlungserfolg sollte, je nach Schwere der Erkrankung, schon nach Stunden oder spätestens am nächstem Tag sichtbar werden. Ein akuter Schnupfen nach Kälte oder Lüftungsfehler könnte zum Beispiel mit Aconitum (der Sturmhut) erfolgreich behandelt werden, aber auch Belladonna (die Tollkirsche) oder Dulcamara (der bittersüße Nachtschatten) wären eventuell nützliche Arzneimittel. Weicher Kot, der eventuell auf einen Fütterungsfehler zurückzuführen ist, lässt sich häufig mit Nux vomica (die Brechnuß) oder Veratrum album (der weißen Nießwurz ) behandeln.

Die homöopathischen Arzneimittel werden in Form von sogenannten alkoholischen Lösungen (Dilutionen) über das Wasser verabreicht, je nach Erkrankung ein bis dreimal täglich.

Die Häufigkeit der Arzneimittelgabe richtet sich nach den Potenzen (Verdünnungsstufen), diese wiederum nach der Art der Erkrankung.

Die Homöopathie stellt sicherlich eine sinnvolle Alternative oder Bereicherung zur herkömmlichen Schulmedizin dar, sollte aber nur mit Unterstützung homöopathisch ausgebildeter Tierärzte eingesetzt werden, da infolge falscher oder laienhafter Behandlung eine Verschlechterung und oder Verschleppung  von  Erkrankungen zu befürchten ist.