Montag, 17. Juli 2017

Die Sage über Dädalus und Ikarus

Vergeblich ruft Icarus seinen Vater.
(Virgil Solis, Edition 1581) Ovid. Met. VIII, 239
Fast 2000 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung lebte in Athen ein Mann, der sich Dädalus nannte. Er galt als der größte Baumeister und Bildhauer seiner Zeit. Aber er hatte einen Schüler, der in vielem schon besser war als er. Aus Neid tötete Dädalus seinen Lehrling.

Dädalus musste nun zusammen mit seinem Sohn Ikarus fliehen. Er irrte umher. Schließlich fuhr er mit einem Schiff zur Insel Kreta.

Minos, der König der Insel, war ein schrecklicher Herrscher. Auch die Götter waren über ihn verärgert. Daher sorgten sie dafür, dass sich Minos’ Frau, die Königin, in einen schönen, jungen Stier verliebte. Sie bekam ein Kind, das halb Stier und halb Mensch war. Dieses wurde schnell größer, man nannte dieses grässliche und gefährliche Ungeheuer Minotaurus.

Dädalus erhielt den Auftrag, für den Minotaurus ein Haus mit vielen Gängen und kleinen Räumen zu bauen, ein Labyrinth, aus dem dieser nicht entkommen könnte. Er hat ein sehr kunstvolles Gebäude entworfen und gebaut.

Minos hat seinem Baumeister gedankt und ihn gut bezahlt. Doch Dädalus wollte nicht auf Kreta bleiben, sondern nach Athen zurückkehren. Aber Minos wollte ihn nicht gehen lassen. Deshalb ließ er Dädalus und sein Haus ständig bewachen. So war es unmöglich, die Insel mit einem Schiff zu verlassen.

“Mag Minos mir Land und Wasser versperren”, dachte Dädalus bei sich, “mir bleibt die freie Luft! Dort werde ich einen Weg für uns finden. Wenn Minos auch auf dem Lande herrscht, in der Luft ist er machtlos!”

Dädalus sammele Vogelfedern und legte sie der Größe nach auf seine Werkbank. Er verband die Federn in der Mitte mit Fäden und knotete sie an dünne Hölzer. Die Kiele klebte er mit Wachs zusammen. Nun bog er die Hölzer so, dass sie den Flügeln von Vögeln ähnlich sahen.

Ikarus sah seinem Vater bei der Arbeit zu. Bald waren die Flügel fertig. Dädalus band sich selbst die Flügel um, bewegte kräftig seine Arme und hob sich leicht in die Luft. Dann schnürte er auch seinem Sohn ein Flügelpaar um.

Bevor sie los flogen ermahnte Dädalus seinen Sohn: “Ikarus, halte dich immer in der Mitte. Wenn du zu tief fliegst, werden deine Flügel durch die Wellen nass und schwer. Wenn du aber zu hoch steigst, kommst du der Sonne zu nahe: Deine Federn fangen Feuer und das Wachs schmilzt in der Hitze. Bleibe immer in meiner Nähe!”

Der Vater umarmte seinen Sohn, dann erhoben sich beide in die Luft. Dädalus flog voran. Er bewegte seine Flügel so, dass es sein Sohn nachmachen und die Bewegungen lernen konnte. Ikarus fiel es nicht schwer, mit den kunstvollen Flügeln zu fliegen. In schnellem Flug überquerten sie das Meer. Bald lagen schon die ersten Inseln hinter ihnen.

Da wurde der Sohn übermütig und stieg immer weiter auf. Dädalus rief seinen Sohn, aber es war schon zu spät. Kaum war der Knabe der Sonne näher gekommen, da schmolz das Wachs und lösten sich die Federn. Nun konnte sich Ikarus nicht mehr in der Luft halten, er stürzte kopfüber ins Meer.

Voller Entsetzen blickte Dädalus auf das Wasser, aber er sah nicht mehr als ein paar Federn. Traurig flog er an Land. Er legte die Flügel ab und wartete am Ufer der Insel, bis die Wellen seinen toten Sohn auf den Strand spülten. Er begrub seinen Sohn. Zum Gedenken gab er der Insel den Namen Ikaria.